Westfalenpost Wochenendpost
Dröhnende Grenzerfahrungen im Kurven-Karussell des Nürburgrings
Eine unvergessliche Rennwagen-Runde als Beifahrer im Sauerland-Porsche-Team
Von Andreas Thiemann
Die Runde dauert keine zehn Minuten, doch sie kommt mir wie eine kleine Ewigkeit vor. Als der Wagen wieder wohlbehalten in der Boxengasse anhält, entweicht mir ein etwas angehauchtes „Wahnsinn“.
Als Beifahrer auf dem Nürburgring stößt der Ungeübte unweigerlich an die Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit: In den Ohren braust ein Dauerdröhnen, die Augen finden im Vorbeirasen keinen Halt, das Herz rutscht in die Hose. Es riecht förmlich nach Abenteuer, und so schmeckt es auch.
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| Geschwindigkeit ist keine Hexerei: Der Mendener Sebastian Kemper in seinem rot-weißen Porsche mit der Renn-Nummer 71 auf dem Nürburgring. FOTO: FROZENSPEED |
Renn-Overall, Unterziehhaube und Helm sind natürlich Pflicht. Der Fotoapparat bleibt in der Gasse zurück; im Cockpit würde er schon in der ersten Kurve schnell zum unkalkulierbaren Geschoss werden - aber eine Nutzung ist ja auch ohnehin gar nicht möglich.
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| Fünf Minuten vor der Angst, aber doch auch zuversichtlich: Andreas Thiemann als Beifahrer im Cup-Porsche des Sauerland-Teams. FOTOS (7): ANDREAS THIEMANN |
Die annähernd 300 Stundenkilometer auf den Geraden sind im Grunde genommen nicht das Problem. Es sind vielmehr die Kurven, die verdammt enge Wegführung und vor allem die anderen Autos, die mal vorne und mal hinten, mal rechts oder links für Bruchteile ins Visier geraten, um Sekunden später zu überholen oder überholt zu werden.
„Wie auf einer
Landstraße ohne
Gegenverkehr.“
Wolfgang Kemper
Landstraße ohne
Gegenverkehr.“
Wolfgang Kemper
Die Aufregung verdichtet die Abstände bis zur Unfassbarkeit. Kein Blatt Papier scheint zwischen die Rennwagen zu passen, die sich aneinander vorbeischieben, die mit mörderischem Tempo auf Leitplanken zurasen, um im allerletzten Moment doch noch die erlösende Kurve zu finden.
Bis zu 40 Liter schlucken die 500- PS-Boliden. Nach etwa einer Stunde und 20 Minuten ist der Tank leer, dann gibt es einen Fahrerwechsel und einen neuen Satz Reifen.
Meine Nürburgring-Erfahrung mache ich in einem 911-Cup-Porsche. Johannes Kirchhoff aus Iserlohn lenkt das Geschoss mit der Souveränität eines Sportlers, der den Ring schon viele hundert Mal gemeistert hat. Gustav Edelhoff aus Hemer und Uwe Kolb (Bad Homburg)
komplettieren das Team dieses Wagens. Einen weiteren Porsche 911 GT3 steuern die beiden Mendener Wolfgang und Sebastian Kemper sowie Lutz Krumnikl aus Weinheim. Die eingeschworene Sechser-Formation bildet wiederum die Racing-Mannschaft des Porsche-Zentrums Lennetal in Hagen-Hohenlimburg.
Zehn Langstreckenrennen und einen 24-Stunden-Lauf absolvieren die Motorenthusiasten pro Saison auf dem Nürburgring. Lupenreine Amateure sind sie alle am Lenkrad, Geschäftsführer, Manager und Unternehmensstrategen im eigentlichen Beruf. Bis zu acht Mechaniker stehen ihnen an jedem Rennwochenende zur Seite. Sie schrauben, wechseln, reparieren und putzen von morgens bis abends. „Manchmal geht es sogar die ganze Nacht durch, wenn ein Fehler nicht gefunden wird“, erklärt Johannes Kirchhoff, und Wolfgang Kemper schwärmt: „Unsere Autos haben noch eine richtig ursprüngliche Technik. Bei unseren Rennen geht es nicht in erster Linie um Höchstgeschwindigkeit, sondern um die Kurven und um möglichst spätes Bremsen.“ Und auch das sagt Wolfgang Kemper noch ganz trocken: „Der Nürburgring, das ist wie eine Landstraße ohne Gegenverkehr.“ Mir kommt es allerdings schon bei der Proberunde so vor, als wären alle anderen Rennwagen nichts anderes als Gegenverkehr. . .
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| Kurzer Sicherheitscheck durch die Mechaniker-Crew, dann kann der Porsche schon wieder auf die Piste des Nürburgrings. |
„In fünf Jahren
fahren wir hier
mit Wasserstoff.“
Johannes Kirchhoff
fahren wir hier
mit Wasserstoff.“
Johannes Kirchhoff
Das Sauerland-Team wird an diesem Wochenende die höchst respektablen Plätze sieben und zwölf in seiner Hubraum-Klasse belegen. Insgesamt starten 180 Wagen im 250-Meilen-
Rennen, und ambitioniert sind sie alle. Den sportlichen Ehrgeiz des Iserlohners Johannes Kirchhoff fasst ein Team-Kollege in die griffige Formel: „Wo Johannes ist, ist vorne, und wenn er nicht vorne ist, fahren wir andersherum.“
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| Karg und hart: Das aufgeräumte Innenleben eines Rennwagens bietet keinen Raum für Überflüssiges. Jedes Gramm weniger macht den Wagen schneller |
Ganz so erfolgreich gestaltet sich das Hobby natürlich nicht, dafür sorgen schon die mitfahrenden Werkwagen mit ihren Profimannschaften. „Uns geht es auch nicht ums Gewinnen. Wir wollen den eigenen Schweinehund besiegen“, umreißt Wolfgang Kemper die Rennsportbegeisterung seiner Freunde. Und die geht nicht nur auf die Kondition, sondern auch ins Geld. Ein Satz Reifen kostet 1500 Euro, der Liter Super muss mit 2,29 Euro an der Boxen-Zapfsäule bezahlt werden. Viele weitere Posten kommen hinzu, vom Wert der Autos ganz abgesehen. Noch beim letzten Rennen wurde ein Cup-Porsche geradezu geschrottet,
jetzt probieren die Mannen um Johannes Kirchhoff für die beiden letzten Saison-Rennen leihweise einen anderen Wagen.
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| Ein Spitzenspritpreis für den Motorsport: 2,29 Euro kostete am vergangenen Wochenende auf dem Nürburgring ein Liter Super für die Rennwagen. |
Die Sauerländer bleiben dieses Mal unfallfrei, andere leider nicht. Ein schillernd grüner Audi, der noch beim Training am Vortag hoffnungsvolle Rundenzeiten gefahren hat, zerlegt sich tags drauf schon am frühen Morgen in der ersten Qualifying-Runde an der Leitplanke. „Ich verstehe manchmal nicht, was da in den Gehirnen der Piloten abgeht“, zeigt sich Gustav Edelhoff über allzu viel Risikobereitschaft ärgerlich verwundert. Tatsächlich gefährden die übermütigen Fahrer ja nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen. Doch trotz der reichlichen Blechschäden sind Verletzungen die absolute Ausnahme bei den beliebten 250-Meilen-Rennen am Nürburgring, zu denen regelmäßig bis zu 50 000 Zuschauer kommen.
Wie lange das kehlige Dröhnen die Motorsportfreunde noch faszinieren wird, ist eine sehr akute Frage. Johannes Kirchhoff jedenfalls prognostiziert: „In fünf Jahren fahren wir hier mit Wasserstoff statt mit Benzin. Oder auch mit jeder anderen Form von Energierückgewinnung. Die entsprechenden Hybridfahrzeuge haben bereits bei den 24-Stunden-Rennen 2010 und 2011 ihre absolute Konkurrenzfähigkeit beeindruckend unter Beweis gestellt.“
Stille Autorennen in der Eifel? Die Vorstellung erschüttert all jene, für die der Motosport eine hohe akustische Wertigkeit besitzt. Mir jedenfalls brummt noch daheim im Sauerland mächtig der Kopf vom enervierenden Motorenlärm der Nürburg-Maschinen. Nein, der Rausch der Geschwindigkeit hat mich nicht erfasst, wohl aber eine gewisse Faszination, ein Staunen über eine Welt, die ich bislang nur aus dem Fernsehen kannte. Die Live-Sendung von der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft verfolge ich jedenfalls jetzt mit ganz anderen Augen. Die Fahrer sehe ich selbstbewusst quasi als Kollegen, jedes noch so waghalsige Überholmanöver quittiere ich mit einem fachkundigen Nicken. Und ich denke ganz ehrlich: Danke, Jungs, dass ihr mich einmal mitgenommen habt.
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| Zwei motorsportbegeisterte Freunde: Johannes Kirchhoff aus Iserlohn (li.) und der Mendener Wolfgang Kemper. |










Good article Turtle. Glad the PoLe team did so well at the last race – nice to finally have two cars come home not damaged! Good luck in the finale.
AntwortenLöschenCheers
Abacus
Toller Artikel, Andreas!!!! Man meint, man säße in einem der Autos.....Genauso habe ich es bei meiner Runde mit Sebastian vor einem Jahr empfunden.
AntwortenLöschenWie immer - besser kann man nicht schreiben!!!!
Herzliche Grüße an Dich und Deine Frau
Bärbel Kemper (Sprecherin Fanclub Menden/Oesbern)